WISSENSWERTES ÜBER MIDPORTION-ACHILLESSEHNEN-TENDINOPATHIEN

Die Achillessehnen-Tendinopathie (AT) betrifft 2% der Bevölkerung (de Jong et al. 2011, Albers et al. 2016), mit einer Prävalenz von bis zu 52% in spezifischen Population von Sportlern (Kujala et al. 2005). Inzidenzangaben belaufen sich meist auf 9-11% (O`Neil 2016) und basieren überwiegend auf Daten von Sportlern mit Laufbelastungen. Laut Mayer et al. (2000) hat das Beschwerdebild, bezogen auf Beschwerden der unteren Extremität, einen Anteil von 23,7% bei Läufern und von 16,5% bei Läuferinnen. Darüber hinaus sind häufig Athleten betroffen, die eine Sportart ausüben, die Sprünge und Sprints beinhaltet (Kvist et al. 1994, Silbernagel et al. 2007, Cook et al. 2015). Aber auch Personen, die überwiegend sitzend tätig sind, können eine Pathologie der Achillessehne entwickeln (Sayana et al. 2007, Äström 1997). Die Prävalenz der Tendinopathie nimmt im Allgemeinen mit zunehmendem Alter zu; alterndes Gewebe und kumulative Belastung erhöhen die Anfälligkeit (Kujala et al. 2005).

 Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich eine Sehnenpathogenese auf der Grundlage eines Wechselspiel von lokaler Schädigung der Sehnenmatrix durch Überlastung und einer zellvermittelten Reaktion auf diese Belastung manifestiert (Lake et al. 2008, Fung et al. 2010, Sun et al. 2010, Screen 2015). Unklar ist allerdings die genaue Abfolge des Prozesses und der Weg zu einer letztlich degenerativen Tendinopathie.

Schmerz ist das Schlüsselmerkmal der Tendinopathie und wird klinisch durch ein Ungleichgewicht von Belastung und Belastbarkeit der Sehnen ausgelöst (Cardoso et al. 2019, O`Neil 2014, Scott et al. 2019). Sehnenveränderungen können allerdings auch ohne Schmerzen auftreten. Daher kann die Sehnenpathologie selbst nicht die einzige Schmerzursache sein (Scott et al. 2019, Cook et al. 2015). Schmerz ist ein Output des ZNS, der meist mit einem nozizeptiven Treiber durch eine Gewebeschädigung assoziiert ist, wobei der Zusammenhang nicht linear ist (McAuliffe et al. 2016, Cook et al. 2015, Rio et al. 2018, Cook et al. 1998, Fredberg & Bolvig 2002, Leung & Griffith 2008, Hirschmuller et al. 2012, Giombini et al. 2013, Brasseur et al. 2004, Khan et al. 1997).

In der Erklärung der Pathologie einer Tendinopathie werden 3 Modelle diskutiert:

  1. Kollagenschädigung (Initiale Verletzung in der extrazellulären Matrix, Abate et al. 2009)
  2. Entzündung (nicht klassisch, Rees et al. 2014, Dakin et al. 2018, D’Addona et al. 2017, Moska et al. 2018)
  3. Sehnenzellreaktion ( Cook & Purdam 2009, Cook et al. 2016) mit Zellaktivierung und Proliferation durch Belastung, Zunahme an Proteoglykanen, Störungen der Kollagenmatrix und verstärkter Vaskularisation).

Es ist wichtig zu betonen, dass das aktuelle Verständnis der strukturellen, zellulären und chemischen Veränderungen, die an schmerzfreien und schmerzhaften Sehnen auftreten, unzureichend ist. Am wichtigsten ist, dass nicht klar ist, wie Pathologie und Schmerz zusammenhängen. (Cook et al. 2015)

In einem aktuellen systematischen Übersichtsarbeit  haben van der Vlist et al. (2019) 8 Risikofaktoren für Achillessehnen-Tendinopathien identifiziert (allerdings hohes Bias-Risiko) : I. Vorherige Verletzung der unteren Extremität (Fraktur, Tendinopathie), II. Trainingssaison im Winter), III. Bestimmte abnormale Muster in der Ganganalyse  (Geringer Vortrieb im Gang während der Abdruckphase und eher laterale Belastung des Fußes (Außenrandbelastung) während des Abrollens), IV. Alkoholkonsum (moderat), V. Antibiotikakonsum (Ofloxacin), VI. suboptimale Nierenfunktion  bei Herztransplantationspatienten, VII. Längere Zeit bis zu einer Herztransplantation und Beginn einer Antibiotikatherapie, VIII. Herabgesetzte isokinetische Kraft der Plantarflexoren. Keine Evidenz dagegen für  Körpergewicht (BMI), statische Fußform, körperliches Aktivitätsniveau.

Sehnen reagieren hochsensibel auf Belastungen!

Normale Sehnen  adaptieren durch eine Veränderung ihrer mechanischen, morphologischen und materiellen Eigenschaften. Interventionen, die die Sehnen-Stiffness verändern, erreichen dies eher durch eine Adaptation der Materialeigenschaften (Stiffness, Elastizitätsmodul)  als durch eine morphologische Anpassung (Sehnendicke, Bohm et al. 2015). Allerdings ist unser  Verständnis von Sehnenanpassung immer noch sehr unvollständig (Docking & Cook 2019).

Kernelement der Sehnenrehabilitation ist eine Wiederherstellung des Gleichgewichts von Belastung (Belastungsmanagement, Pain-Monitoring, (Silbernagel et al. 2007, Sanchez et al. 2019,  Malliaras, et al 2013; Murphy , et al. 2018, Martin, et al. 2018; Rowe, et al. 2012, O`Neil 2016, Sancho et al. 2019) und Belastbarkeit (Sehnenkapazität, Cardoso et al. 2019, Mascaró-Miquel et al. 2018, Martin et al. 2018, O´Neil et al. 2016, Cook et al. 2015, Magnussen et al. 2009, Scott et al. 2011, Papa 2012). Ein klarer Vorteil für ein bestimmtes progressives Belastungsprogramm zur Verbesserung der Sehnenkapazität – (isometrisch), exzentrisch, konzentrisch-exzentrisch bzw. Heavy Slow Resistance,  scheint nicht zu bestehen (Malliaras et al.  2013; Murphy et, et al. 2018, 2019, Martin, et al. 2018; Rowe, et al. 2012, Wilson et al. 2018), Couppe et al. 2015, Habets & van Cingel 2015). Ein pragmatischer Ansatz, der die Möglichkeiten, Anforderungen und Reaktionen des einzelnen Patienten berücksichtigt, erscheint sinnvoll (Silbernagel et al. 2019, Cook et al. 2019).

Unklar ist auch der Wirkungsmechanismus dieser Belastungsprogramme hinsichtlich der beobachteten Verbesserungen. Als mögliche Mechanismen wurden diskutiert (O`Neil 2016,): Strukturelle Sehnenanpassung (Alfredson et al 1998a; Stanish et al 1986, Murphy  et al. 2018), Veränderungen neurovaskulärer Infiltrationen (Ohberg & Alfredson 2002, 2004, Murphy  et al. 2018, Rabello et al. 2018), neurochemische Veränderungen (Scott et al. 2013; Danielson 2009; Scott & Bahr 2009, Murphy  et al. 2018), Flüssigkeitsbewegungen in der Sehne (Grigg et al 2009, 2012), neuromuskuläre Anpassungen (Mahieu et al. 2009; Malliaras et al. 2013; Grigg et al 2014, Murphy  et al. 2018),  Zentrales Nervensystem – Desensibilisierung und motorische Kontrolle (Rio et al 2014, 2015, 2018, Plinsinga et al 2015, Murphy  et al. 2018).

Bei degenerativen Sehnen lässt sich nur selten die normale Struktur wieder herstellen (Malliaras et al. 2006, Alfredson et al. 2009), was für eine erfolgreiche Therapie aber auch nicht notwendig erscheint  (Rio & Docking 2018, Docking et al. 2014, Drew et al. 2012). Es ist wichtig zu beachten, dass die Anpassung in einem Gewebe oder System möglicherweise nicht die Anpassung des Individuums erklärt (Docking & Cook 2019).

Auch psychosoziale Faktoren sind mit dem Therapieergebnis einer Tendinopathie assoziiert (z.B. Kinesiophobie bei AT, Mallows et al. 2017. Um Therapieregebnisse zu optimieren, sind auch hier kognitive-und Kontextfaktoren wichtig (Mallows et al. 2018): 1. Entwickle eine effektive Arbeitsallianz, 2. Verbessere die Selbstwirksamkeit. 3. Steigere die Adhärenz.