Was Schmerz und ein Kuchen miteinander gemein haben?

Wenn ein Mensch in einem bestimmten Kontext Schmerzen erleidet, dann kann das streng genommen nicht auf einen einzigen Faktor (z. B. verletztes Gewebe) oder die bloße Ansammlung verschiedener anderer „Schmerztreiber“ reduziert werden.

Wir können den Körper nicht wie ein mechanisches Uhrwerk betrachten, bei dem der Schmerz der Indikator für ein defektes Zahnrad ist, das repariert werden kann. Um uns das konkret vor Augen zu führen, beziehen sich Cormack und Kollegen in einer aktuellen Publikation zum Biopsychosozialen Modell und seinem enaktiven Verständnis auf die „Kuchen“-Analogie von de Haan. (1)

Die Beziehung zwischen globalen und lokalen Prozessen lässt sich analog zur Beziehung eines Kuchens zu seinen Zutaten wie Salz, Wasser, Mehl, Zucker und Eiern betrachten. Der Kuchen steht für ein globales System, in unserem Fall für die Person, die Schmerzen empfindet. Die Zutaten sind die eher lokalen Komponenten, aus denen der Kuchen besteht, und stehen für physiologische Prozesse.

Dabei lässt sich die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerz nicht auf einen einzigen physiologischen Prozess reduzieren, so wie wir einen Kuchen sicher nicht nur auf die Zutat „Mehl“ reduzieren können. Die Art und Weise, wie die Zutaten die neuen Eigenschaften eines Kuchens (z. B. die Weichheit) bewirken, lässt sich am besten durch ihr Zusammenspiel verstehen; nicht alle Veränderungen der Zutaten führen zu Veränderungen im gesamten Kuchen. So hat beispielsweise nicht jede Änderung der Zuckermenge einen spürbaren Effekt; wir können den jeweiligen Beitrag zu den entstehenden Eigenschaften des Kuchens nur im Zusammenhang mit den anderen Zutaten (z. B. Salz-, Wasser- und Mehlmenge) verstehen.

Analog dazu können wir uns die Entstehung von Schmerzen am besten durch die dynamische Kopplung neuronaler und nicht-neuronaler Prozesse vorstellen (z. B. die Verflechtung von Veränderungen im neuronalen, endokrinen und immunologischen System) (2,3)

Gleichzeitig sind globalere Prozesse wie die Erwartungen des Patienten und seine Umgang mit unangenehmen Emotionen, die mit Schmerzen in Zusammenhang stehen, notwendigerweise mit Veränderungen physiologischer Aspekte (z. B. neuronale Reorganisation) verbunden, ebenso wie Veränderungen des Kuchens als Ganzes Veränderungen der Zutaten und ihrer chemischen Organisation mit sich bringen.

Schließlich müssen wir auch den soziokulturellen Kontext berücksichtigen, denn er ist nicht einfach nur ein passiver Hintergrund (4) sondern ein Teil des Systems, der sich sowohl auf psychologische als auch auf physiologische Prozesse auswirkt.

Die Kultur durchdringt oder “färbt” subjektive Erfahrungen (5,6) wie zum Beispiel Schmerzen. Um bei der Analogie mit dem Kuchen zu bleiben: Die Auswirkungen der Kultur sind vergleichbar mit den Auswirkungen der Temperatur eines Ofens auf den Gesamtzustand des Kuchens, inklusive seiner Zutaten (1). In einer enaktiven Perspektive sind Physiologie, Erfahrungen und Kultur unterschiedliche, aber nicht getrennte Prozesse; sie sind alle Teile desselben gleichen Person-Umwelt-Systems.

Literaturangaben

Primärquelle: Cormack et al. (2022) The biopsychosocial model is lost in translation: from misrepresentation to an enactive modernization

  1. De Haan (2020) Enactive Causality: Interventions, Cakes, and Clockworks: A Reply to Gallagher and Donovan and Murphy
  2. Chapman et al. (2008) Pain and stress in a systems perspective: reciprocal neural, endocrine, and immune interactions
  3. Zouikr et al. (2016) Early life programming of pain: focus on neuroimmune to endocrine communication
  4. Mardian et al. (2020) Flipping the Pain Care Model: A Sociopsychobiological Approach to High-Value Chronic Pain Care
  5. Hipólito et al. Culture in Mind – An Enactivist Account: Not Cognitive Penetration But Cultural Permeation
  6. Wiech & Shriver (2018) Cognition Doesn’t Only Modulate Pain Perception; It’s a Central Component of It