Top down Bottom up Zentrale Sensibilisierung Zentrales Hypersensibilitätssyndrom

Mit der Verwendung des Begriffs „zentrale Sensibilisierung“ hat sich in den letzten Jahrzehnten auch unser Verständnis von ZNS-Prozessen, die zu Schmerzen führen können, erweitert. Ursprünglich als auf das Rückenmark beschränkt gedacht, wird supraspinalen Mechanismen heute eine wichtige Rolle bei diesem Phänomen eingeräumt. Eine Abgrenzung, die immer deutlicher wird, aber im Schmerzfeld wenig Beachtung gefunden hat, ist die Frage, wie man unterscheidet, ob ein Patient mit diesem Prozess ein Problem hat, das durch anhaltenden nozizeptiven Input (im ursprünglichen Verständnis dieses Begriffs) verursacht wird, oder ob dieser Prozess in Abwesenheit eines peripheren Treibers stattfindet. Die Abb. bezeichnet diese beiden Subtypen der zentralen Sensibilisierung als Bottom-up (d.h. sie werden durch anhaltenden nozizeptiven Input angetrieben) oder Top-down (d.h., das primäre Problem ist sehr wahrscheinlich in supraspinalen Strukturen entstanden und  es wird kein kontinuierlicher nozizeptiver Input benötigt, um den Prozess aufrechtzuerhalten). Zudem gibt das Schaubild einen Überblick darüber, was wir bis dato über diese beiden Subtypen wissen.

 Der klinische Grund für die Unterscheidung dieser beiden Subtypen der veränderten ZNS-Verarbeitung von Schmerz sollte offensichtlich sein – die Bottom-up-Form sollte aggressiv mit Interventionen behandelt werden, die zum Ziel haben, den peripheren nozizeptiven Treiber zu reduzieren, während für die Top-down-Form ZNS-orientierte Therapien notwendig sind. Da sich unser Verständnis dieser beiden Typen entwickelt, sollten auch unsere sematischen Begriffe weiterentwickelt werden, und es wird vorgeschlagen, den Begriff der zentralen Sensibilisierung nur zur Bezeichnung der Bottom-up-Form zu verwenden, während ein neuer Begriff (z.B. zentrale Überempfindlichkeit) für die Definition der Top-down-Variante  passend erscheint.  Ein Gelenkersatz infolge einer Arthrose kann z.B. bei Patienten mit einer Bottom-up-Form der Zentralen Sensibilisierung sehr erfolgreich sein, während das Ergebnis bei einer Top-down Variante unbefriedigend ausfallen kann.

In einer aktuellen Studie erzielen die meisten Patienten einen signifikanten Nutzen hinsichtlich einer Verbesserung von begleitenden Fibromyalgie-Symptomen nach einem vollständigen Gelenkersatz bei einer Knie- oder Hüftgelenkarthrose (d.h. nachdem der nozizeptive Input durch die OP reduziert wurde), ein erheblicher Teil jedoch nicht. Diese Gruppe wies in der Basislinie – passend zu Differenzierung der Tabelle –  höhere Depressions- und Fatigue-Werte auf.  (Scherpf et al. 2019).

Harte et al schlagen ferner vor, dass beide Formen zusammengenommen ein breiteres klinisches Konstrukt des “zentralisierten Schmerzes” bilden, das als Kontinuum bei Menschen mit chronischen Schmerzen existiert. Viele Menschen mit zentralisierten Schmerzen weisen wahrscheinlich eine Kombination dieser beiden Prozesse auf und müssen sowohl mit peripheren als auch mit zentral gesteuerten Therapien behandelt werden.

Literaturangaben

Primärquelle: The neurobiology of central sensitization Steven Harte-Richard Harris-Daniel Clauw – Journal of Applied Biobehavioral Research – 2018