Die Rolle des Verhaltens für oder in der Behandlung von chronischen Schmerzen

  1. Chronische Schmerzen sind weit verbreitet und einer der größten Einflussfaktoren auf die Jahre, die Menschen mit Einschränkungen leben müssen (Buchbinder et al. 2013). Die Kosten für chronische Schmerzen übersteigen die kombinierten Kosten (!) für Herzerkrankungen, Krebs und Diabetes (Gaskin & Richard 2012).
  2. Die internationale Definition von Schmerz erkennt den losen Zusammenhang zwischen Schmerz und Schaden an und stellt fest, dass Schmerz eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung mit oder ohne Gewebeschäden ist, solange diese Erfahrung in Form einer Gewebeschädigung beschrieben wird. (IASP 1979)
  3. Schmerz ist Teil eines Motivationssystems, das Menschen alarmiert, Ihr Verhalten steuert und mit Energie versorgt, um Bedrohungen für den Organismus zu minimieren. (Eccleston & Crombez 1999)
  4. Das Modell der Angstvermeidung bei chronischen Schmerzen hat unser Verständnis für den Übergang von einer Schmerzepisode zu belastenden, anhaltenden Schmerzen wesentlich verändert. Das Modell beschreibt, dass angstbedingte defensive Verhaltensweisen in einem Teufelskreis enden, der sich selbst aufrecht erhält und Aktivitätseinschränkungen, Funktionsverluste, negative Stimmung und Schmerzen fördert. (Zale et al. 2013, Gheldorf et al. 2007, 2010, Wideman et al. 2009)
  5. Lernen ermöglicht es dem Organismus, auf potenziell schädliche Reize zu reagieren (entweder durch Gewöhnung oder Sensibilisierung), potenziell schädliche Ereignisse vorherzusagen (Pavlovianische Konditionierung, Meulders 2019, s. nächste Slide) und schädliche Ereignisse zu kontrollieren (operante Konditionierung, z.B. durch direkte positive Verstärkung wie soziale Aufmerksamkeit, negative Verstärkung wie Flucht/Vermeidung von unangenehmen Reizen) und unzureichende positive Verstärkung für „gutes Verhalten” (z.B. mangelnde Anerkennung für Freizeit- und Arbeitsleistung). Adamczyk et al. (2019)
  6. Es gibt starke Hinweise darauf, dass schmerzbezogene Angst klassisch konditioniert sein kann. Die Frage, ob Schmerz selbst als Antwort konditioniert werden kann, ist noch unbeantwortet.
  7. Menschen mit einschränkenden, chronischen Schmerzen scheinen eine “Better Safe than Sorry”-Strategie zu bevorzugen (Meulders et al. 2015, Moseley & Vlaeyen 2015). Fehlalarme (Generalisierung der Angst auf physisch ähnliche Reize, sogar symbolischer Art, z.B. durch Sprache, (Dunsmoor & Murphy 2015) , scheinen akzeptiert zu werden, um einen echten Alarm nicht zu verpassen.
  8. Die Reaktion auf schädliche Ereignisse findet im Rahmen konkurrierender nicht-schmerzbezogener Ziele und Bedürfnisse statt, welche den Schmerz und die Schmerzvermeidung hemmen können. (Hardy et al. 2011, (Fields 2006, Wiech & Tracey 2013, (Schrooten et al. 2014, Van Damme et al. 2012)
  9. Expositionsbedingte Behandlungen können die schmerzbedingte Angst und die Interferenz von Schmerzen im täglichen Leben deutlich reduzieren (Vlaeyen et al. 2012, (den Hollander et al. 2016, Leeuw et al. 2008, Linton et al. 2008a, Woods & Asmundson 2008).). Einige Studien zeigen eine signifikante Reduktion der berichteten Schmerzintensität und die erfolgreiche Wiederaufnahme persönlicher Ziele (de Jong et al. 2005, 2012).

Literaturangaben

Primärquelle: Vlaeyen, Johan WS, and Geert Crombez. “Behavioral Conceptualization and Treatment of Chronic Pain.” Annual Review of Clinical Psychology 16 (2019).