Die Effekte von Training bei Patienten mit Fibromyalgie

Pathophysiologie

Das Fibromyalgiesyndrom (FM) ist eine höchst komplexe Erkrankung.

Eine Sensitivierung des ZNS  wird als eine wesentliche pathophysiologische Veränderung hinter einer Fibromyalgie angesehen. (s. nächste Slide).1,2

Der genetische Sollwert (Set-Point) für die sensorische (inklusive Schmerz) Reaktion kann durch psychosoziale Faktoren, wie Angst, Depression, Katastrophisierung und biopsychosozialen Stress (z.B. Trauma, negative Kindheitserfahrungen, einschneidende Lebensereignisse oder Infektionen) beeinflusst werden.

Periphere Faktoren, wie ein konstanter nozizeptiver Input durch Komorbiditäten können ebenfalls zur Pathogenese beitragen. Im ZNS finden verschiedenste Veränderungen statt, wie Neurotransmitter-Dysbalance, eine veränderte funktionelle Konnektivität in schmerzassoziierten Gehirnarealen und Veränderungen in der HHN-Achse, die die autonome Funktion beeinflussen.1,2

Pathologische Prozesse der Fibromyalgie auf einen Blick!1

FM-Definition

Derzeit wird FM als eine muskuloskelettale Erkrankung charakterisiert, deren Hauptmerkmal generalisierte Schmerzen in 4 von 5 Regionen (Kopf, Hals, Rumpf, obere und untere Extremität) über einen Zeitraum von >3 Monaten sind.6,7

FM beinhaltet auch das Vorhandensein von in Verbindung stehenden psychischen Störungen wie Depression und Angst, die sich direkt auf die Arbeit, Lebensqualität, sowie die sozialen und beruflichen Funktionen der Betroffenen auswirken. Diese psychischen Störungen sind wesentliche Merkmale für eine FM.6-11

Evidence

Eine akutelle Übersichtsarbeit von Andrade und Kollegen8 untersuchte in Form eines Umbrella Review die Evidenz von Training in der Behandlung von FM.

Grundlage für ihre Ergebnisse waren 37 inkludierte  Reviews zu dieser Fragestellung, wobei  die meisten Arbeiten qualitativ gering oder moderat waren (Bewertung mittels AMSTAR 2).

FM und Training: Ergebnisse

In der Mehrzahl wurden Studien zu Krafttraining und Ausdauertraining untersucht, daneben  weniger häufig Aquatraining, Bewegungstherapien (Yoga, Tai Chi, Chigong) und gemischte Programme.

Insgesamt deutet die Evidenz darauf hin, dass Training eine positive Wirkung auf die Behandlung einer FM hat, indem es Depressionen, Angst und Schmerz reduzieren und die Lebensqualität verbessern kann. 

Wie sieht es mit einer adäquaten Trainingsdosis aus?

Der Patient sollte…

  • 2 bis 3 x pro Woche, 30-60 min. pro Einheit
  • und initial mit einer Last von 40% des Einwiederholungs-Maximums im Krafttraining trainieren.

Leider sind keine Leitlinien bzgl. der Progression bei FM-Patienten bekannt.

Die Dosierung des Trainings ist bei FM eine wichtige Komponente, da Nebenwirkungen auftreten können. Muskelbeschwerden waren die am häufigsten genannten trainingsassoziierten Beschwerden. Insgesamt gab es allerdings keine ernsthaften Nebenwirkungen, so dass eine Trainingstherapie daher in verschiedenen Krankheitskontexten als sicher anzusehen ist.

Die größten Effekte wurden für eine Zunahme der Lebensqualität und eine Reduktion der Schmerzintensität beobachtet (allerdings mit hoher Heterogenität)

Fazit

Trainingstherapie, insb. Krafttraining und Ausdauertraining, sind bei FM wirksam. So ist Training auch eine Hauptempfehlung in der deutschen Leitlinie „Fibromyalgiesyndrom“.4,5

Anhang: Edukations-Nugget für Patienten

„Der Begriff „Fibromyalgie“ ist stark von der Kultur beeinflusst – die Diagnose wird weit häufiger in einigen Ländern dieser Erde gestellt.

 Auch wenn dieser Begriff für manche angsteinflößend klingen mag, während andere ihn vielleicht als Erlösung empfinden, wissen wir heute, was Fibromyalgie ist:

Ihr Nervensystem ist hier extrem sensibel und Ihre Output-Systeme, wie das  Immunsystem, das sympathische, endokrine und motorische System sind hochgeregelt und reagieren sehr schnell. All das führt dazu, dass Ihr Körper versucht, sich zu stark zu schützen.

Eine zu starke Schutzreaktion über einen längeren Zeitraum führt zu Veränderungen in den Geweben, die jetzt mehr Gefahrensignale in Richtung Ihres Zentralen Nervensystems senden.

So entsteht ein Kreislauf, den Sie aber an mehreren Stellen durchbrechen können. Es geht letztlich darum, Bewegung graduell zu steigern, die Schmerzen zu verstehen, Ihre Gefahrensignale („Danger In Me, DIMs“) zu reduzieren bzw. Ihre Sicherheitssignale („Safety In Me, SIMs“) zu finden.

Literaturangaben

  1. Häuser W, Ablin J, Fitzcharles MA, et al. Fibromyalgia. Nat Rev Dis Primers. 2015;1:15022. Published 2015 Aug 13. doi:10.1038/nrdp.2015.22
  2. Häuser W, Perrot S, Clauw DJ, Fitzcharles MA. Unravelling Fibromyalgia-Steps Toward Individualized Management. J Pain. 2018;19(2):125-134. doi:10.1016/j.jpain.2017.08.009
  3. Stewart JA, Mailler-Burch S, Müller D, et al. Rethinking the criteria for fibromyalgia in 2019: the ABC indicators. J Pain Res. 2019;12:2115-2124. Published 2019 Jul 10. doi:10.2147/JPR.S205299
  4. Winkelmann A, Bork H, Brückle W, et al. Physiotherapie, Ergotherapie und physikalische Verfahren beim Fibromyalgiesyndrom : Aktualisierte Leitlinie 2017 und Übersicht von systematischen Übersichtsarbeiten [Physiotherapy, occupational therapy and physical therapy in fibromyalgia syndrome : Updated guidelines 2017 and overview of systematic review articles]. Schmerz. 2017;31(3):255-265. doi:10.1007/s00482-017-0203-4
  5. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-004.html
  6. Wolfe F, Clauw DJ, Fitzcharles M-A, et al. 2016 revisions to the 2010/2011 fibromyalgia diagnostic criteria. Semin Arthritis Rheum 2016;46:319–29.
  7. Wolfe F, Walitt BT, Katz RS, et al. Symptoms, the nature of fibromyalgia, and diagnostic and statistical manual 5 (DSM-5) defined mental illness in patients with rheumatoid arthritis and fibromyalgia. PLoS One 2014;9:1–9.
  8. Andrade A, Dominski FH, Sieczkowska SM. What we  already know about the effects of exercise in patients with fibromyalgia: an umbrella review. Semin Arthritis Rheum 2020.
  9. Wolfe F, Walitt BT, Katz RS, Hauser W. Symptoms, the Nature of Fibromyalgia, and Diagnostic and Statistical Manual 5 (DSM-5) De?ned Mental Illness in Patients with Rheumatoid Arthritis and Fibromyalgia. PLoS One 2014;9:9 https://doi.org/ 10.1371/journal.pone.0088740.
  10. [Toussaint L, Sirois F, Hirsch J, Weber A, Vajda C, Schelling J, et al. Gratitude mediates quality of life differences between ?bromyalgia patients and healthy controls. Qual Life Res 2017;26:2449–57 https://doi.org/10.1007/s11136-017-1604-7.
  11. Andrade A, Vilarino GT, Sieczkowska SM, Coimbra DR, Bevilacqua GG, Steffens R, de AK. The relationship between sleep quality and ?bromyalgia symptoms. J Health Psychol 2018:135910531775161 https://doi.org/10.1177/1359105317751615.
  12. Moseley, G. Lorimer; Butler, David S. (2017): Explain pain supercharged. The clinician`s manual. Adelaide: Noigroup Publications