Die “dunkle” und die “helle” Seite der Sprache am Beispiel der SIG-Beschwerden

Die Bedeutung der Sprache in der muskuloskelettalen Rehabilitation

„Worte sind wie Zahnpasta, einmal aus der Tube, kann man sie nicht mehr zurücknehmen!“

„Schmerz ist eine idealer Nährboden auf dem Sorgen gedeihen können“ (Eccleston & Crombez (2007) . Ohne Rekonzeptualisierung laufen Kliniker Gefahr, sich des schädlichen Potenzials ihrer Begriffe nicht bewusst zu sein.

Es gibt  dabei keine Patentrezepte: Nicht jeder Begriff ist für jeden Patienten „schädlich“ –  insofern ist die folgende Tabelle eher exemplarisch zu verstehen –

aber wir sollten unsere Terminologie hinterfragen: „Was bedeutet das alles für den Patienten? Wie kann ich Dinge richtiger und mit einer positiveren Konsequenz formulieren?“

Sprache und Kommunikation sind mächtig – Sie haben die Macht, zu schaden und zu heilen…

Aussagen schaden, wenn sie…

Strukturelle Schadensüberzeugungen generieren

  • „Sie haben ein instabiles Becken“.
  • „Ihr Becken ist nicht in der richtigen Position“.
  • „Ihr Becken hat sich verschoben“.
  • „Ihr Beckenschmerz hat damit zu tun, dass ihre Core-Muskulatur zu schwach ist“.
  • „Die Bänder Ihres Beckens sind lax“.
  • „Sie sollten beim Training einen Beckengurt tragen, um Ihr Becken zu schützen“.

Eine negative Zukunftsperspektive erzeugen

  • „Ihr Becken wird immer instabil sein“.
  • „Es wird immer eine Schwäche da sein, seien Sie also vorsichtig“.
  • „Sie müssen besonders dann aufpassen, wenn Sie schwanger werden sollten“.
    „Sie werden keine natürliche Geburt haben können“.
  • „Das Kinderkriegen hat Ihrem Becken geschadet – dagegen können sie nichts mehr tun“.

Schmerz = Schaden-Überzeugungen erzeugen

  • „Hör auf, sobald du Schmerzen bekommst“.
  • „Lass dich vom Schmerz leiten“.

Aussagen heilen, wenn sie …

Biopsychosoziale Erklärungen für Beckenschmerzen liefern

  • „Beckenschmerz bedeutet, dass Ihre Beckenstrukturen sensibilisiert sind“.
  • „Haltungsveränderungen, Muskelspannung, Schlafmangel, Stress und Sorgen können Sie sensibilisieren“.
  • „Das Gehirn arbeitet wie ein Verstärker“: „Je mehr Sie sich wegen der Schmerzen sorgen und sich auf sie fokussieren, desto größer werden die Schmerzen sein“.
  • „Wenn es Ihnen nach einer Manipulation besser geht, bedeutet das noch lange nicht, dass Ihr Becken verschoben war. Die Behandlung reduziert kurzzeitig die Schmerzen und hilft dabei, die Muskeln zu entspannen“.
  • „Nur weil Ihr Schmerz besser wird, wenn sie einen Beckengurt tragen, ist das nicht darauf zurückzuführen, dass Ihr Gelenk instabil ist – Das ist so, als würden Sie eine Kniebandage bei Schmerzen am Kniegelenk anlegen“.
  • „Wenn sie das Gefühl haben, dass Ihr Becken in einer falschen Position ist, liegt das normalerweise an einer Veränderung der Muskelspannung, die zu diesem veränderten Körpergefühl führen kann.“

Vertrauen in den Körper fördern

  • „Die Bänder Ihres Becken gehören zu den stärksten Strukturen Ihres Köpers; denen können sie definitiv vertrauen“.
  • „Becken verschieben sich nicht einfach, dazu sind sie viel zu stark“
  • „Ich will nicht, dass Sie sich auf Gurte und Bandagen verlassen müssen; Lassen Sie uns Möglichkeiten finden, damit Sie lernen, Ihren Beckenstrukturen wieder zu vertrauen“.
  • „Die Mehrzahl der Beckengürtelprobleme wird besser, besonders dann, wenn man Vertrauen in seinen Körper hat“.
  • Ein gesundes Verhalten fördern
  • „Denken Sie positiv, versuchen Sie, gut zu schlafen – Entspannung und regelmäßige Bewegungen helfen gegen Beckenschmerzen“.
  • „Ihr Becken schützen zu wollen und Bewegung zu vermeiden, machen den Schmerz schlimmer – entspannte, angstfreie Bewegung hilft dagegen“.
  • Selbstmanagement fördern
  • „Lassen Sie uns einen Weg finden, der Ihnen selbst Kontrolle über Ihren Schmerz gibt, statt auf kurzer „fix-it-Lösungen zu setzen!

Sprache und Kommunikation – die „dunkle Seite der Macht“ oder „jeder schlecht informierte Therapeut ist ein potenzieller Chronifizierungsfaktor!“

Begriffe, die man vermeiden sollteAlternativen
Chronisch degenerative VeränderungenNormale Veränderungen im Alter
Negative (d.h.nicht-pathologische) Testergebnisse„Alles sieht normal aus“
Instabilität„Braucht mehr Kraft und Kontrolle“
VerschleißNormale Veränderung im Alter
NeurologischNervensystem
„Mach dir keine Sorgen“„Alles wird gut gehen“
„Knochen auf Knochen“Verdünnung/Enge
RissZug
SchadenReparable Schädigung
ParästhesienVerändertes Empfinden
Eingeklemmter Nerv„sensibilisierter Nerv, kann aber mobilisiert werden“
Lordose„Normale Schwingung Ihrer Wirbelsäule“
Kyphose„Normale Schwingung Ihrer Wirbelsäule“
Vorwölbung, HernieBlase/Schwellung (s. Bild)
KrankheitBeschwerden
ErgussSchwellung
Chronisch„könnte länger andauern, aber sie können es in den Griff bekommen“
DiagnostikRöntgen/oder Aufnahme
„Sie werden damit leben müssen“„Sie werden evtl. einige Veränderungen vornehmen müssen“
Stewart & Loftus. Sticks and Stones: The Impact of language in musculoskeletal rehabilitation. JOSPT (2018)

Literaturangaben

Primärquelle: O´Sullivan et al (2015). In: Jull G, Moore A, Falla D et al. Grieve’s Modern Musculoskeletal Physiotherapy, Vertebral Column and Peripheral Joints. Churchill Livingstone; Stewart & Loftus. Sticks and Stones: The Impact of language in musculoskeletal rehabilitation. JOSPT (2018)