Bandscheibenheilung

Heilung des Anulus

Es ist bekannt, dass in Tierstudien (bei Jungtieren) eine gewisse Heilung stattfindet.

Eine Nadelstichpunktion der Bandscheibe führte zu Narbengewebe an den Rändern der Läsion, wobei die Narbe nach 4 Wochen bereits reinnerviert wurde. Die Nervenfaserbildung  ist abhängig von der tiefe der Punktion (1mm im Vergleich zu 5mm). (Aoki et al. 2006)

Eine Stichwunde (3×5 mm) in den Anulus induzierte Narbengewebe mit reifen Fibroblasten und flachen Mesothel Zellen um den Wundrand herum. (Hampton et al. 1989)

Granulationsgewebe breitet sich von der Peripherie in die Verletzungsstelle aus, führt zu neuer Kapillarisierung und dem Einsprießen von Nerven. (Osti et al. 1990)

Die mechanische Bandscheibenheilung beschränkt sich auf die äußeren Millimeter des Anulus (2-3mm), welcher innerhalb von ca. 6 Wochen eine Heilung  mit Erhöhung der Widerstandskraft auf hydrostatischen Druck im Nucleus erfährt. (Ahlgren et al. 2000, Moore et al. 1994)

Die innere Läsion folgt diesem Heilungsverlauf nicht, sondern schreitet in Richtung Nucleus voran. (Osti et al. 1990)

Die Unterbrechung der Bandscheibe (in zentralen Regionen) kann bei größeren Ausmaßen die Heilung durch Reparatur der Matrix unmöglich machen, wenn diese wiederholt mechanischen Belastungen ausgesetzt wird. Diese Unfähigkeit der Reparatur kann durch einen erhöhten Zytokin-Spiegel und die erhöhte Aktivität von abbauenden Enzymen (Matrix-Metalloproteasen=MMP‘s und „a disintegrin and metalloproteinase with thrombospondin motifs” =ADAMTSs) erklärt werden. (Adams et al. 2009, Ulrich et al. 2007, Antoniou et al. 1996, Le Maitre et al. 2004, Weiler et al. 2002)

Die Reduktion von Proteoglykanen (Bestandteil der extrazellulären Matrix zur Stabilisierung zwischen den Zellen) im Zellkern führte zu einer Heilung, die die Bandscheibenhöhe und Proteoglykan-Konzentration innerhalb von ca. 32 Wochen weitgehend normalisiert. (Melrose et al. 1996)

Die Normalisierung des Proteoglykan-Gehalts erhöht die Hydratation und den Flüssigkeitsdruck in der Bandscheibe. Diese beiden Faktoren scheinen die innere Heilung durch ein Zurückdrängen der Blutgefäße zu hemmen.

Eine partielle Nukleotomie führt im Gegensatz dazu nach mehreren Wochen zu Fibrose und Narbenbildung, die mit einem Höhenverlust über Monate einhergehen. Dieser Unterschied lässt sich durch den erheblichen Einschnitt in den Anulus sowie eine Verringerung des Kernvolumens erklären. (Omlor et al. 2009)

In den Bandscheiben erreichen Nährstoffe das Bandscheibenzentrum vor allem durch Diffusion aus Blutgefäßen in der Endplatte und dem peripheren Anulus. (Urban et al. 2004)

Ein Nährstoffmangel (Glukose) kann zu Zelltod führen. Die Reduktion der Dichte der Zellen innerhalb der Bandscheibe nimmt mit dem Alter ab, was wahrscheinlich aufgrund des Wachstums und der damit verbundenen größeren Diffusionsstrecke begründbar ist. Diese Verringerung der Zelldichte im erwachsenen Alter reduziert die Schwelle von normalem zu gestörten  Stoffwechsel erheblich. Falls bei reduziertem Stoffwechsel weitere Störungen wie Sklerosierungen der Deckplatte oder generelle Stoffwechselstörungen hinzukommen, kann das ausreichen, um Zellen abzutöten und degenerative Veränderungen auszulösen. (Junger et al. 2009, Liebscher et al. 2011, Urban et al. 2004, Battie et al. 1991)

Eine „echte“ Heilung des Nucleus scheint stark begrenzt zu sein. Die kollagene Halbwertszeit bei Erwachsenen Menschen beträgt mehr als 100 Jahre, was ebenfalls eine Erklärung für die mangelnde Heilung im inneren Anulus und Kern darstellt. (Moore et al. 1994, Sivan et al. 2008)

Anulus – Nucleus – Heilung

(a)Gesunde junge Bandscheibe
(b)Gesunde ältere Bandscheibe
(c)Discushernie einer jungen Bandscheibe

Der äußere Anulus weist eine 4-fach höhere Zelldichte auf als der Kern, weil seine Zellen gut durch Kapillaren (Oberfläche der Bandscheibe) versorgt werden und weil der Metaboliten-Transport durch Flüssigkeitsströmungen in und aus der äußeren Bandscheibe stattfinden kann. (Ferguson et al. 2004, Hastreiter et al. 2001, McMillan et al. 1996)

Die Nähe des äußeren Anulus zu den Blutgefäßen hat ebenfalls einen Vorteil bei der Heilung, da durch den Blutstrom transportierte Zellen, die Vaskularisierung und den Gewebeumbau fördern können.

Durch den hohen Metabolismus des äußeren Anulus lässt sich seine mechanische Adaptionsfähigkeit im Vergleich zum inneren und mittleren Anulus erklären. (Skrzypiec et al. 2007).

Heilung der Wirbelsäulenendplatte

Beim Menschen weisen degenerierte Bandscheiben eine Proliferation von Blutgefäßen und sensorischen Nerven in der Endplatte auf, begleitet von einer erhöhten Kollagendenaturierung und Synthese, die auf eine Remodellierung oder Heilung hindeuten. (Antoniou et al. 1996, Brown et al. 1997)

Die knöcherne Endplatte ist metabolisch aktiv und verursacht bei Verletzung des äußeren Anulus eine Remodulierung, vermutlich als Reaktion auf die veränderte mechanische Belastung des Knochens. (Moore et al. 1996, Przybyla et al. 2006)

Eine Gefäßproliferation tritt innerhalb der Knorpelendplatte in der Nähe einer peripheren Bandscheibenläsion auf, um den Metaboliten-Transport zur Verletzungsstelle in der Bandscheibe zu verstärken. (Moore et al. 1992)

Über die Heilung der Endplatte nach einer Verletzung ist relativ wenig bekannt.

Bandscheibenheilung und Schmerzlinderung

Die Behandlung von diskogenen Schmerzen sollte auf die Bandscheiben-Peripherie ausgerichtet sein, wobei das Ziel darin besteht, Entzündungen zu reduzieren und eine physische Barriere zwischen Nucleus und Nervenzellen im äußeren Anulus, der Wirbelsäulenendplatte und den Nervenwurzeln wiederherzustellen.

Eine solche Barriere könnte Rückenschmerzen reduzieren, auch wenn sie wenig dazu beiträgt, altersbedingte Veränderungen im Nucleus rückgängig zu machen.

Wir wissen bereits, dass ein intakter äußerer Anulus eine Zentralisierung von Rückenschmerzen voraussagt und dies wiederum mit einem reduzierten Risiko von chronischen Rückenschmerzen und einer erhöhten Rückkehr zur Arbeit in Zusammenhang steht. (Karas et al. 1997, Donelson et al. 1997, Werneke & Hart 2001)

Bandscheibenheilung

Sehnen und Bänder haben ähnliche Zellen und Matrixzusammensetzung wie der äußere Anulus und sie heilen in ähnlicher Weise, einschließlich Neovaskularisierung und Neoinnervation. (Wang 2006)

Große Sehnen haben auch ähnliche Stoffwechselprobleme wie die Bandscheiben. Techniken zur Förderung der Sehnen- und Bandheilung können daher auch auf die Bandscheibe übertragen werden, insbesondere in den frühen Phasen, bevor die Struktur des Anulus zerstört ist.

 Entzündungsphase

Ein wesentliches Prinzip der Sehnenheilung ist die Vermeidung einer erneuten Verletzung in der ersten Entzündungsphase, die typischerweise einige Tage dauert und von der Aktivität aus dem Blut stammender Zellen dominiert wird. Eine Überlastung in dieser Zeit erhöht das Risiko, eine chronisch degenerative Tendinose zu entwickeln.  Die anfängliche Ruhigstellung ist auch für die Heilung von ligamentären Verletzungen wichtig. (Wang 2006, Edson 2006)

Diese Prinzipien sollten auch für die Bandscheibe angewendet werden, denn wiederholte kleinere Verletzungen des Anulus und der Deckplatte verlängern die Entzündungsreaktion erheblich und verstärken die Degeneration im Tierversuch. (Ulrich et al. 2007, Cinotti et al. 2005)

Es gibt Hinweise dafür, dass  eine Bewegungsbegrenzung die Heilung des Anulus in  dieser frühen Phase erleichtern kann. (Latham et al. 1994)

Beim Menschen ist die Dehnung des äußeren Anulus am stärksten am frühen Morgen, wenn die Bandscheiben mit Flüssigkeit gefüllt sind. Die Vermeidung von übermäßiger Flexion am frühen Morgen hat sich als potenzieller Faktor für eine Reduktion von persistierenden Rückenschmerzen erwiesen (Snook et al. 2002, Adams et al. 1987). Aber auch eine übermäßige Inaktivität hat ungünstige Auswirkungen auf den Bandscheibenstoffwechsel und kann eine exzessive protektive Muskelreaktion begünstigen  (Key et al. 2013). In dieser Phase könnte es daher theoretisch sinnvoll sein, den posturalen Stress (z.B. durch zu starke Flexion oder monotone Haltungen) zu reduzieren.

Reparatur Phase

Ein weiteres Prinzip aus der Sehnenheilung lässt sich auch auf die 2. Phase der Heilung bei Bandscheibenverletzungen anwenden. In dieser Phase findet eine durch Fibroblasten ausgelöste Reparatur der Kollagenmatrix statt. Hier kann eine kontrollierte Mobilisierung und Dehnung die Ausrichtung der synthetisierten Kollagenfasern verbessern sowie die Vaskularisierung hemmen. (Wang 2006, Nakamura et al. 2008, Lee et al. 2004, Neidlinger-Wilke et al. 2001)

Eine frühzeitige passive Mobilisation nach der Sehnenreparatur verhindert Narbenbildung und Verwachsungen; exzentrische Übungen können ebenfalls von Vorteil sein. (Adolfsson et al. 1996, Ohberg et al. 2004)

Eine passive zyklische Wirbelsäulenbeugung könnte ebenfalls die Reparatur des äußeren hinteren Anulus und des longitudinalen Ligaments anregen.

In einem Tierexperiment konnte gezeigt werden, dass die statische Dehnung des Anulus degenerative Veränderungen nach einer Drucküberlastung reduziert, was darauf hindeutet, dass Spannung die Kollagenfasern vor enzymatischem Abbau schützt. (Nabeshima et al. 1996, Lotz et al. 2008)

Eine kontrollierte Flexion der Wirbelsäule kann auch verhindern, dass das passive Gewebe in einer „verkürzten“ Position heilt. Die zyklische Flexion der Wirbelsäule in Seitlage würde die Druckbelastung der Wirbelsäule minimieren und somit das Risiko verringern, dass der Nucleus pulposus in den heilenden peripheren Anulus gedrückt wird. (Adams & Hutton 1985, Tampier et al. 2007, Pezowicz et al. 2006)

Rotationen der Wirbelsäule erhöhen die Spannung in bestimmten Schichten des Anulus, so dass die Bewegung zwischen den Lamellen erleichtert und eine starke Narbenbildung verhindert wird. (Krismer et al. 1996)

Eine sanfte frühzeitige Mobilisation kann positiv für die knöcherne Endplatte sein, denn wiederholte Mikrobewegungen stimulieren die Frakturheilung. (Kenwright et al. 1991)

In der Praxis kann die kontrollierte Mobilisation eines kürzlich geschädigten Wirbelsäulensegments aufgrund von Schmerzen und Muskelsteifigkeit schwierig sein. Hier können manuelle Mobilisationen hilfreich sein, Schmerzen zu lindern und den Muskeltonus zu normalisieren, um damit die Stresskonzentrationen in der Bandscheibe zu verringern. (Boal & Gillette 2004)

Umbauphase

Die Mobilisation kann bis etwa 6 Wochen fortgeführt werden, um die Ausrichtung, Organisation und Vernetzung der Kollagenfasern zu verbessern. Während dieses Zeitraums kommt es zu einer Abnahme der Zellularität und einer Rückbildung der Blutgefäße, da das Gewebe von der Granulation zum Narbengewebe reift (Sehnenheilung). Exzentrische Übungen können helfen, die Vaskularität zu reduzieren; Dehnen erhöht den Kollagengehalt und die biomechanischen Eigenschaften der Sehnen.  (Wang 2006, Lui et al. 2007, Chamberlain et al. 2009, de Almeida et al. 2009)

Ein Tierversuch deutet darauf hin, dass der Bandscheibenumbau durch repetitive Wirbelsäulenbewegungen verbessert werden kann, aber die optimalen Bewegungs- und Belastungswerte sind nicht bekannt. (Gehlsen et al. 1999)

In vitro Studien zeigen, dass moderate zyklische Belastung eine anabole Wirkung auf Bandscheibenzellen hat, während katabole Effekte vorherrschen, wenn die Belastung statisch oder außerhalb normaler physiologischer Grenzen liegt. (Ishihara et al. 1996, Wuertz et al. 2009, Steele et al. 2015)

Die optimale Belastung ist bislang in keiner Phase exakt bekannt!

Dynamisches Krafttraining der Wirbelsäule

“Progressiv dynamische Belastung mit geringer Frequenz, hoher Intensität und geringem Umfang fördert regenerative Prozesse der Bandscheibe“

  • Proteoglykan-Gehalt steigt,
  • Matrix-Gen-Expression nimmt zu,
  • Zell-Apoptose Rate nimmt ab
  • Flüssigkeits- bzw. Nährstofftransport steigt

Bandscheibenstoffwechsels

Die Proteoglykan-Synthese im Kern ist durch die Zelldichte begrenzt, die wiederum durch Schwierigkeiten beim Metabolitentransport limitiert zu sein scheint. Dieser Transport wird durch den Flüssigkeitsstrom aus abwechselnden Ruhe- und Aktivitätsphasen verstärkt, der eine tageszeitliche Veränderung des Wassergehalts in der Bandscheibe von 20% bewirken. (McMillan et al. 1996, Botsford et al. 1994)

Für Zellen im Nucleus kann der Effekt des Flüssigkeitsstroms wahrscheinlich nicht den Stoffwechsel steigern. (Kobayashi et al. 2008, Ferguson et al. 2004)

ABER!

Dieser Flüssigkeitsstrom könnte einen großen positiven Einfluss auf den äußeren Anulus und die Endplatte haben. (Ferguson et al., 2004)

Der Nährstofftransport wird durch langfristige Bewegung verstärkt und durch Fusion behindert (Tierversuch). (Holm & Nachemson 1982 und 1983)

Aktivität könnte auch helfen, Stoffwechselabfälle auszuspülen bzw. Enzyme und Zytokine abzubauen. (Guehring et al.2006)

Bei Patienten mit Rückenschmerzen konnte in einer einzigen Einheit mit Mobilisation der LWS in Bauchlage (s. Abb.) die Wasserdiffusion innerhalb eines degenerierten Nucleus pulposus erhöhen. (Beattie et al. 2009)

Abwechselnde volle lumbale Flexions- und Extensionsbewegungen könnten einen ähnlichen Effekt haben. Die Flüssigkeit wird durch die Bewegung in die verschiedenen Anteile der Bandscheibe bewegt und fördert somit den Flüssigkeitsaustausch. (Adams & Hutton 1983)

Auch Joggen (Wei et al. 2009, Belavy et 2017) und Radfahren (Belavy et al. 2018) können den Stoffwechsel der Bandscheibenzellen anregen.

Wege der Nährstoffversorgung in einer normalen Bandscheibe.

 a | Zellen des Nucleus pulposus und des inneren Anulus fibrosus werden von den Blutgefäßen der Wirbelkörper versorgt. Kapillaren durchdringen die subchondrale Platte durch Markräume und enden in Schleifen an der Kreuzung von subchondraler Platte und knorpeliger Endplatte. Nährstoffe (z.B. Sauerstoff und Glukose) diffundieren aus dem Kapillarbett durch die Knorpelendplatte unter Gradienten, die sich aus dem Stoffwechselbedarf der Bandscheibenzellen ergeben, während Stoffwechselabfallprodukte (z.B. Milchsäure) in umgekehrter Richtung diffundieren. Die Zellen des äußeren Anulus fibrosus werden durch Kapillaren aus Blutgefäßen des umgebenden Bindegewebes versorgt, die wenige Millimeter in die Bandscheibe eindringen.

 b | Das Zentrum der Bandscheibe weist die niedrigsten Nährstoffkonzentration und die höchste Konzentration an Metaboliten auf.

c | Schematische Darstellung normalisierter Konzentrationsgradienten von Glukose, Sauerstoff und Milchsäure über dem Nucleus-Endplatte-Endplatte. Die Nährstoffkonzentrationen müssen über den kritischen Werten bleiben, um die Zelllebensfähigkeit und -aktivität zu erhalten.

Literaturangaben

Primärquelle: Adams et al. (2010) Healing of a painful intervertebral disc should not be confused with reversing disc degeneration.

Yong-Can & Urban-Keith (2014 Intervertebral disc regeneration: do nutrients lead the way?