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Auswirkungen von Diagnosen auf die Therapie
Veröffentlich von Marvin Blumöhr on 6. Juni 2024 at 22:10Hallo zusammen,
ich suche derzeit nach Studien zur Fragestellung: “wie beeinflusst das reine Wissen über eine Diagnose die Rehabilitation und die konservative Therapie” also ich Frage mich z.B.: Wir wissen, dass der RTS bei Kreuzbandrupturen nicht sehr gut ist. Kann dieser evtl. verbessert werden, indem die Patienten keine genaue Diagnose erhalten, sondern anhand von Wundheilungsphasen, funktionellen Tests und Protokollen für RTS therapiert werden? Natürlich muss ein Redflag screening durchgeführt und Krankheitsbilder die eine sichere OP-Indikation haben ausgeschlossen werden, aber bei einer VKB-Ruptur liegt das ja nicht vor.
Beste Grüße und schonmal vielen Dank für euer Engagement.
Tobias Saueressig hat geantwortet vor 5 months, 3 weeks aktiv. 2 Mitglieder · 5 Antworten -
5 Antworten
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Hallo Marvin,
Meines Erachtens geht es in der ACL-Reha nicht nur um die Erfüllung spezifischer Funktionskriterien, sondern eben auch um zeitliche Aspekte, z.B. der Ligamentisierung. [ https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27402457/ ] Und diese zeitlichen Aspekte sind wiederum abhängig von der betroffenen Struktur. Bei einer ACL-Rekonstruktion ist das sicher ganz anders als z.B. bei einer lateralen Kapselbandverletzung.
Bei dem Symptom Rückenschmerz ist das ein bisschen anders: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK77188/ . Da ist es sicherlich nicht unbedingt hilfreich eine genaue Diagnose zu erhalten.
Mein Fazit: es hängt da doch Recht davon ab, was der Patient hat.
LG
Tobias
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Anterior cruciate ligament (ACL) tears are common knee injuries sustained by athletes during sports participation. A devastating complication of returning to sport following ACL reconstruction (ACLR) is a second ACL injury. Strong evidence now indicates that younger, more active athletes … Continue reading
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Hallo Tobias,
hinsichtlich einer Rekonstruktion des ACL stimme ich dir da vollkommen zu, dies zeigt ja auch klar deine verlinkte Studie. Dennoch werden auch hier psychologsiche Aspekte der Rehabilitation meines Erachtens nicht mit einbezogen. Meiner Meinung nach haben aber Noceboeffekte und die gesamten psychologischen Gegebenheiten einen enormen Einfluss auf die Rehabilitation.
Worum es mir aber eigentlich geht ist vielmehr die Frage, ob wir durch keine genaue Diagnosestellung (Ausschlussdiagnostik für Red Flags nicht mit inbegriffen) ein besseres Outcome für konservative Therapie erhalten würden. Die Genesung der Strukturen ist meines Erachtens auch abhängig von psychologischen Faktoren und Nocebos, Stress, Schlaf, Ernährung etc.
Ein kleines Biepsiel: Ein Patient erledeit einen Kreuzbandriss beim Fußball, 3 Andere aus seinem Verein hatten ebenfalls vor 4-5 Jahren einen Kreuzbandriss, und die konservative Therapie war nicht erfolgreich. Sie wurden später operiert und 2 davon haben sich wieder das Kreuzband rupturiert. Wird es für diesen Patienten vielleicht besser sein, wenn man keine Kreuzbandtestungen macht und er erstmal ohne genaue Diagnose konservativ aufgrund von Wundheilungsphasen und psychologsicher Motivation Therapiert wird?
Dazu versuche ich derzeit Studien zu finden, die möglichst viele psychologische Faktoren und Umweltfaktoren berücksichtigen, bin aber noch nicht erfolgreich gewesen.
Es wird mit Sicherheit Patienten geben, bei denen eine genaue Diagnose positive Auswirkungen hat, da sie andere kennen die positive Erfahrungen mit der konservativen Therapie hatten, aber es wird auch einige geben, bei denen sich die Diagnose negativ auswirken wird.
Bei Rupturen der Rotatorenmanschette konnte man auch feststellen, das rein durch die Diagnose sich mehr Leute für die operation entscheiden würden. Bei dieses Personen ist es dann meiner Meinung nach logisch, dass die konservative Therapie nicht so gut funktionieren wird.
Wenn dem so wäre, ist meine nächste Frage wollen wir das Risiko eingehen, durch das Aussprechen einer Diagnose die Therapie zu beeinflussen? Wir können ja nie in einen Patienten hineinschauen und wissen, welche Erfahrungen er gemacht hat und ob das dann positive oder negative Effekte für unsere Therapie bereit hält.
Kurz am Rande, ich finde es sehr schwer meine Gedanken dazu kurz in einen Text zu fassen, da es so umfangreich ist. Ich hoffe du verstehst ungefähr meine Gedankengänge.
Also wenn die OP schon geschehen ist, ist es natürlich sehr wichtig zu wissen, was gemacht wurde um eine adäquate Reahbilitation zu gewährlisten. Mir geht es wirklich rein um die konservative Therapie unter dem Einfluss von Umwelt- und psychologischen Faktoren.
LG
Marvin
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Hallo Marvin,
meines Erachtens gibt es einige Annahmen, die du vielleicht hinterfragen solltest:
wir haben keine Studien die zeigen, dass psychologische Studien einen großen Einfluss bei VKB-Verletzungen haben. Z.B. sind diese Faktoren nicht unwichtig bei Schmerz, aber auch nicht extrem groß. (z.B. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ejp.2222)
Zum anderen ist es ethisch bedenklich einem Patienten eine Diagnose eines VKB-Risses vorzuenthalten. Das ist dann auch der Grund, warum so eine Studie nie gemacht werden kann, da keine Ethikkommission dies durchwinken würde.
Insgesamt stimme ich mit Dir überein, dass Kontextfaktoren wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen Teil am Geschehen beitragen, aber eine Untersuchung in dieser Form nicht machbar ist.
LG
Tobias
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Hallo Tobias,
hinsichtlich der ethischen Umsetzbarkeit einer solchen Studie bin ich voll und ganz bei Dir, eine solche Studie wird wohl nicht umgesetzt.
Dennoch haben wir meines Erachtens sehr wohl erste Erkenntnisse über die Wichtigkeit der psychologischen Komponente in der Rehabilitation.(doi: 10.4085/1062-6050-0556.22; https://www.physiomeetsscience.net/pip-psychologisch-informierte-physiotherapie-bei-sportverletzungen/). Ebenfalls in der Studie, die Du verlinkt hast, wird von möglichen Auswirkungen der Kontextfaktoren von bis zu 30% des Therapieerfolgs geschrieben.
Das Problem welches meiner Meinung nach derzeit besteht, ist dass die meisten Studienergebnisse hauptsächlich auf einem biomedizinischen Ansatz basieren. Was auch vollkommen logisch ist, da Messdaten über Kontextfaktoren zu sammeln aufgrund der Subjektivität und Komplexität enorm schwierig ist.
Die oben genannte Studie zeigt beispielsweise auf, dass auch psychologische Interventionen, wie das Vorstellen von Bewegungsabläufen und Heilung der Strukturen zu einer Verbesserung der Ergebnisse nach einer ACL-Rekonstruktion führen. Ich denke die aktuelle Studienlage und Forschung steht noch in den Kinderschuhen, was die Psychologischen Einflüsse angeht.
Was ich mich dann weiterhin Frage ist, ob eine konservative Therapie die auf biologischen Faktoren im Sinne der allgemeinen Wundheilungsphasen und der Funktion (Neurokognitiv, Funktionelle Assessements etc.) unter Berücksichtigung der psychischen (Selbstwirksamkeit, Zielsetzung ohne biomedizinisch basierte Prognosen, Motivation, etc.) und sozialen Faktoren, zu je 1/3 einen größeren Erfolg haben würde, auch ohne genaue Diagnostik. Weiterhin müssen natürlich schwerwiegende Erkrankungen im Sinne von Red Flags immer ausgeschlossen werden.
Des weiteren würde mich sehr Deine Meinung zum Thema physiotherapeutische Assessements (VKB-Tests, HKB-Tests, Schultertests, etc.) interessieren. Sind diese Sinnvoll oder nicht?
LG
Marvin
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Hi Marvin,
das wäre auf jeden Fall eine tolle Studie für die VKB-Reha, die diese Faktoren berücksichtigt. Man könnte z.B. ein Trainingsprogramm mit diesen Gesichtspunkten mit einer Rekonstruktion vergleichen.
Zur Frage zu den Assessments: das kann ich so pauschal nicht beantworten. Einige VKB-Tests sind z.B. recht gut, um zu Wissen ob das VKB durch ist. Bei den Schultertests ist es beispielsweise bei MSK Beschwerden m.E. nicht unbedingt notwendig diese durchzuführen, da die Ergebnisse der Reha sich dadurch nicht ändern. Aber das sind jetzt sehr pauschale Antworten von mir. D.h. das müsste man doch eher auf konkrete Beispiele beziehen.
LG
Tobias
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