Muskelkater als neurale Mikroschädigung der Muskelspindeln, nicht primär des Muskels
Hintergrund:
Muskelkater (DOMS) ist definiert als verzögert einsetzender Muskelschmerz, Muskelsteifigkeit, Schwellung, Verlust der Fähigkeit zur Krafterzeugung, reduziertem Bewegungsumfang der Gelenke und verminderter propriozeptiver Funktion [Clarkson et al. 1992]. Theodore Hough berichtete als erster 1902 über DOMS , wobei er den Schmerz mit Muskelrissen in Verbindung brachte [Hough 1902]. Bei DOMS spürt man den Schmerz klassischerweise etwa 8 Stunden lang nicht, er erreicht dann seinen Höhepunkt 1 oder 2 Tage später [Newham 1988] und klingt innerhalb von 7 Tagen nach dem Training wieder ab [Mizumura et al. 2016]. Es wird angenommen, dass der Schmerz eine Folge eines Mikrotraumas am Muskel ist, gefolgt von In?ammation [Mizumura 2016]. Mehrere Theorien versuchen DOMS auf der Grundlage von, z.B. Laktat, Muskelkrämpfen, In?ammation, Bindegewebsschäden, Muskelschäden und Enzym-Austritt zu erklären [Cheung et al. 2003], aber keine einzige Theorie hat das Problem vollständig beantwortet.
Haben wir über 100 Jahre in der falschen Richtung gesucht? Eine aktuelle Hypothese präsentiert Überlegungen in eine ganz andere Richtung: DOMS könnte eine neurale Mikroschädigung sein und eben keine Schädigung des Muskels.
Aktuelle Hypothese:
Nach einer neuen Hypothese ist Muskelkater (DOMS) das Resultat einer akuten Kompressionsaxonopathie der Gruppe 2- Nervenendigungen in der Muskelspindel mit der Folge einer mechanischen Hyperalgesie. Sie wird durch die Überlagerung von Kompression verursacht, wenn wiederholte exzentrische Kontraktionen unter kognitiver Anforderung („zum Limit gehen“) ausgeführt werden. (vgl. Abb.)
Die akute Kompressionsaxonopathie könnte mit einer Mikroverletzung des umgebenden Gewebes einhergehen und wird durch eine immunvermittelte Entzündung verstärkt. Der DOMS wird durch die Aktivität des Sympathikus bei der Auslösung maskiert (im Sinne einer akuten Stressreaktion mit einer deszendierenden, nozizeptiven Hemmung), aber sobald diese nachlässt, kommt ein Sicherheitsmodus ins Spiel, um weitere Verletzungen zu verhindern. DOMS manifestiert sich, wenn die mikroverletzten, nicht nozizeptiven sensorischen Fasern der Muskelspindel aufhören den Effekt der mikroverletzten, übererregten nozizeptiven sensorischen Fasern zu hemmen und somit das „ Tor” im Hinterhorn des Rückenmarks zur Hyperalgesie „öffnen“ („Gate Control Theory“).
Reaktive Sauerstoffspezies und Stickstoffmonoxid spielen eine übergreifende Rolle in den parallelen, miteinander in Zusammenhang stehenden Degenerations-Regenerationsmechanismen der verletzten Gewebe. Sie können zu einer fazilitierten Schmerzerfahrung beitragen, sind aber für Muskelkater nicht zwingend, mit Ausnahme der Mikroverletzung sensorischer Neurone der Muskelspindel. Das Immunsystem und das nozizeptive System ermöglichen es, schädliche Reize zu identifizieren und als Folge davon Reaktionen auszulösen, um Gewebeschäden zukünftig zu verhindern und die Homöostase wiederherzustellen.
Die Autoren sind der Meinung, dass die mitochondriale Elektronentransportkette eine Beteiligung freier Radikale an der akuten Kompressionsaxonopathie nahelegt (durch eine Beeinträchtigung der axonalen Energieversorgung).
„Closed Gate Übungen“ (konzentrische Übungen, z.B. Schwimmen, Kuphal et al. 2007) könnten von nicht-pharmakologischer therapeutischer Bedeutung sein, da sie zusätzlich zu einem antiinflammatorischen Effekt neuropathische Schmerzen reduzieren. Schließlich könnte DOMS eine wichtige ontogenetische Rolle spielen, indem er durch den verzögerten Beginn nicht nur die Fähigkeit verbessert, der Gefahr zu entkommen, um in der Wildnis zu überleben, sondern auch das Muskelwachstum auslösen und zu einer Adaptation des Nervensystems im Zuge des Wachstumsprozesses führen kann.
Muskelkater als neurale Mikroschädigung der Muskelspindel, nicht des Muskels!
Drei Positionen der Muskelspindel. (1) Entspannte Muskelspindel: je entspannter die Muskelspindel ist, desto entspannter ist der mit Flüssigkeit gefüllte Hohlraum; (2) Gedehnte Muskelspindel: wenn sich die Muskelspindel dehnt, flacht sich der Flüssigkeitshohlraum mit der nicht komprimierbaren Flüssigkeit im Inneren ab, was zu einer stärkeren Kompression und einer Aktivierung der Nervenendigungen führt; (3) Übermäßig gedehnte Muskelspindel: nicht komprimierbare Flüssigkeit „drückt“ („Entrapment“) auf die Nervenendigungen und verursacht eine Mikroverletzung aufgrund der Überlagerung der Kompression, wenn nämlich wiederholte exzentrische Bewegungen auf ungewohnte oder anstrengende Weise ausgeführt werden.