Diagnostische Genauigkeit klinischer Tests für das Assessment von ligamentären Verletzungen am oberen Sprunggelenk bzw. subtalaren Gelenk

Wie genau sind eigentlich unsere klinischen Tests für die Diagnostik von ligamentären Verletzungen am oberen Sprunggelenk bzw. subtalaren Gelenk?

Dieser Frage gingen Fredh Netterström-Wedin & Kollegen in einer aktuellen Übersichtsarbeit nach. Sie konnten dabei 14 Studien (6302 Beobachtungen, 9 klinische Tests) inkludieren, wovon 6 Studien (885 Beobachtungen) in eine Metaanalyse zu inkludieren waren. Als Referenzstandard dienten Arthrographie (6 Studien), Arthroskopie bzw. OP (2 Studien), MRT (2 Studien), Ultraschall (4 Studien).

Ergebnisse

  • Eine Palpation des Ligamentum talofibulare (s. 2 Slide) anterius ist sehr sensitiv (Sensitivität 95%-100%; Spezifität 0%-32%; min-max; n = 6), weniger sensitiv dagegen ist eine Palpation des Ligamentum calcaneofibulare (s. 3. Slide, Sensitivität 49%-100%; Spezifität 26%-79%; min-max; n = 6).
  • Die gepoolte Daten aus 6 Studien ergaben eine geringe Sensitivität (54 %; 95 % Konfidenzintervall (KI, 35 %-71 %), aber eine hohe Spezifität (87%; 95% KI 63%-96%) für den vorderen Schubladentest. Das positive Likelihood-Ratio (LR+) liegt entsprechend bei 3.97 (95% KI 1.50-10.47), das negative Likelihood-Ratio (LR?) bei 0.54 (95% KI 0.39-0.75)
  • Der Talar-Tilt-Test („laterale Aufklappbarkeit“) ist deutlich spezifischer als sensitiv für die Diagnose einer lateralen Bandverletzung oder einer Verletzung des Ligamentum calcaneofibulare mit einer Sensitivität von 17% bis 66% und einer Spezifität von 82% bis 100%.
  • Genau Tests für die subtalaren Bänder (Ligamentum talocalcaneum interosseum, zervikales Ligament und anteriores Kapselband) konnten die Autoren nicht ermitteln.
  • Insgesamt ist die Evidenz für eine klinisch genau Graduierung (Einteilung in Grade) der ligamentären Verletzungen am Sprunggelenk (abseits der Aussage „verletzt ja bzw. nein“) sehr begrenzt und widersprüchlich.

Was heißt das jetzt konkret?

Nehmen wir an, die Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung des Lig. talofibulare anterius läge nach einem Trauma mit einer lateralen Kapsel-Bandverletzung bei 65%, dann würde sich die Wahrscheinlichkeit nach einem positiven vorderen Schubladentest auf 88% erhöhen. Wäre dagegen die Palpation des Lig. talofibulare anterius negativ, dann würde sich die Wahrscheinlichkeit seiner Verletzung auf ca. 23% reduzieren (negatives Likelihood-Ratio von etwa 0,16).

Die Autoren empfehlen daher, Verletzungen des Lig. talofibulare anterius mit einem negativen Palpationsbefund auszuschließen bzw. mit einem positiven vorderen Schubladentest (der am besten erst 2-7 Tage nach dem Trauma durchgeführt wird) zu bestätigen.

Ein positiver Talar-Tilt Test spricht für eine Verletzung des Lig. calcaneofibulare, allerdings gibt es keinen Test, der eine solche Verletzung sicher ausschließen kann.

Eine valide Graduierung der Tests ist schwierig; für das untere Sprunggelenk mangelt es bis dato an Daten.

Insgesamt wird die Verblindung in den Untersuchungen zu wenig beschrieben und die Studienqualität ist häufig limitiert.

Palpation des Ligamentum talofibulare anterius

Empfohlene Position: Mit plantarflektiertem Sprunggelenk und invertiertem und innenrotiertem Fuß kann der Untersucher das Lig. Talofibulare anterius an seinem Ursprung an der distalen Spitze des Malleolus lateralis ertasten. Das Band liegt subkutan.

Klinische Interpretation:  Lässt sich der “bekannt Schmerz” des Patienten bei der Palpation des Lig. calcaneofibulare nicht reproduzieren, so spricht das gegen eine Verletzung dieses Bandes.

Palpation des Ligamentum calcaneofibulare

Vorderer Schubladentest des Ligamentum talofibulare anterius

Literaturangaben

Primärquelle: Netterström-Wedin et al. (2021) Diagnostic Accuracy of Clinical Tests Assessing Ligamentous Injury of the Talocrural and Subtalar Joints: A Systematic Review With Meta-Analysis

Delahunt et al. (2018) Clinical assessment of acute lateral ankle sprain injuries (ROAST): 2019 consensus statement and recommendations of the International Ankle Consortium.