8 Fakten zu den rätselhaften Entrapment-Neuropathien
Entrapment- (Einklemm-) Neuropathien (z.B. Karpal-, Kubitaltunnelsyndrom, Kompressions-Syndrom des N. peronaeus) sind die am häufigsten vorkommende Art einer peripheren Neuropathie und oft eine Herausforderung in der Diagnose und Behandlung. Das aktuelles Wissen basiert zu einem großen Teil auf empirischen Konzepten und biomechanisch Studien. Die jüngsten Fortschritte in den grundlegenden und klinischen Neurowissenschaften stellen einige Überzeugungen und Standpunkte in Frage!
Auf der Grundlage der aktuellen Evidenz sollten Kliniker Folgendes in der Diagnostik und Behandlung von Entrapment-Neuropathie beachten:
- Eine nicht-dermatomale/territoriale Verteilung der Symptome ist die Regel, nicht die Ausnahme und schließt keine Entrapment-Neuropathie aus (Caliandro et al. 2006, Murphy et al. 2009, s. z.B. re. oben bei Karpaltunnelsyndrom, Schmid et al. 2013). Gründe dafür sind zentrale und periphere neuroimmunologische Veränderungen (s. Abb. re unten).
- Spezifische Tests für das kleine Fasersystem (der dünn bemarkten A-delta- und unbemarkten C-Fasern) sollten in die neurologische Standarduntersuchung integriert werden („Neurotips“ für Spitz-/Stumpf-Wahrnehmung bzw. warm-kalt Münzen für die thermale Reizschwelle (Ridehalgh et al. 2018, Witt et al. 2004, Schmid et al. 2014, Tamburin et al. 2011)
- Neurodynamische Tests sind nicht diagnostisch für Entrampment-Neuropathien, sondern zeigen lediglich eine Erhöhung der Mechanosensibilität an (Schmid et al. 2018)
- Eine Standard-Untersuchung, die häufig als Gold Standard angesehen wird, mit klinischer Testung von Sensorik, Kraft und Reflexen in Kombination mit elektrodiagnostischen Verfahren schließt eine Entrapment-Neuropathie nicht sicher aus (Witt et al. 2004), weil hierbei lediglich A-beta Fasern getestet werden, die nur etwa 20% aller peripheren Nervenfasern ausmachen.
- Ein negativer neurodynamischer Test schließt eine Nervenfunktionsstörung nicht aus (Baselgia et al. 2017, Boyd et al. 2010).
- Anzeichen einer erhöhten Mechanosensibilität sind nicht beweisend für einen neuropathischen Schmerzmechanismus. (Allison et al. 2002, Bove et al. 2003, Dilley et al. 2005, van der Heide et al. 2006)
- Die Auswirkungen der neurodynamischen Behandlung können weit über biomechanische Effekte hinausgehen
- Hypoalgesie (Beltran-Alacreu et al. 2015, Beneciuk et al. 2009)
- Verteilung intraneuraler Ödeme (Brown et al. 2011, Gilbert et al. 2015 Schmid et al. 2012)
- Anti-inflammatorische Effekte (Giardini et al. 2017, Santos et al. 2012)
- Analgesie durch körpereigene Opioide (Santos et al. 2014)
- Förderung der peripheren Nervenregeneration (da Silva et al. 2015)
- Die Behandlung des peripheren Triggers bleibt – wenn er identifizierbar und auf die Behandlung anspricht – ein integraler Bestandteil des Managements, auch wenn zentrale Mechanismen vorhanden sind. (Marshall et al. 2007)